Der FC Bayern trifft im Halbfinale der UEFA Champions League auf den Rekordsieger des Wettbewerbs und hat weiterhin die realistische Chance, die Saison halbwegs zufriedenstellend zu beenden.
Im Vergleich zum Viertelfinale gegen Arsenal ist zwar bereits die Ansetzung ein erster kleiner Nachteil für die Münchner. Sie tragen in dieser Runde das Heimspiel im Hinspiel aus und sind eine Woche später in einer möglichen Verlängerung vor spanischem Publikum gefordert. Auch die letzten Duelle in der Champions League sprechen für Real, die sich 2014, 2017 und 2018 gegen den FC Bayern durchsetzen konnten. Aber: Es gibt auch die Perspektive, dass Madrids Viertelfinalgegner Manchester City die deutlich unangenehmere Aufgabe für den FC Bayern im Halbfinale gewesen wäre ...
Real: leidensfähig, flexibel, diszipliniert
Im Spiel gegen Manchester liefen die Spanier oft dem Ball hinterher. 32 Prozent Ballbesitz unterstreichen zum einen die Dominanz Citys, zum anderen aber auch die hohe Leidensfähigkeit und Disziplin gegen den Ball von Real. Zwar versuchten die „Königlichen“ die Engländer gelegentlich im hohen Anlaufen zu pressen, waren dabei allerdings oftmals nicht gut organisiert. Das konnte City durch seine spielerische Klasse ausnutzen, um immer wieder den freien Mann zu finden. Waren die Situationen ruhig und übersichtlich, versuchte Real es auch im eins gegen eins über den ganzen Platz. In diesen Fällen wird für die Bayern ein Überzahlspieler im Aufbau mit Manuel Neuer entscheidend werden, um einem hohen Pressing der Spanier zu entgehen.
Weitaus häufiger wandte Real jedoch im 4-4-2 ein Mittelfeld- oder sogar Abwehrpressing an. Dabei standen die Ketten extrem dicht aneinander und schlossen so die Räume für Manchester. In der Regel mussten die Engländer dann den Weg über die Außen gehen. In diesem Fall können sich auch für die Münchner Möglichkeiten ergeben. City konnte sich wiederholt außen freispielen, in dem sie über das simple Mittel „Spiel über den Dritten“ in den Rücken der Abwehr kamen. Dabei war es etwa zweimal Kevin De Bruyne, der seinem Bewacher Toni Kroos außen entwischte. Im Zentrum gingen die Spanier dagegen massiv und konsequent zur Sache. Erling Haaland hatte einen schweren Stand und gegen die robusten Innenverteidiger Antonio Rüdiger und Nacho meist das Nachsehen.
Real: Überblick, Tempo, Klasse
Mit Ball waren bei Real Madrid die häufigen und präzisen Verlagerungen auffällig. Vor allem Kroos, aber auch seine Mitspieler schafften es im Hinspiel über hohe, präzise Verlagerungen immer wieder, Citys ballferne Seite zu attackieren und Chancen zu kreieren. Im Rückspiel waren es eher Umschaltaktionen über ihre schnellen Außenbahnspieler Rodrygo, Vinicius Junior oder auch Fede Valverde, die Gefahr heraufbeschworen. Ein weiteres offensives Real-Muster über Hin- und Rückspiel war die offensive Ausrichtung von Außenverteidiger Daniel Carvajal. Der Spanier schaltete sich vermehrt ins Offensivspiel ein, was den Bayern aus den Spielen gegen Arsenal bekannt vorkommen dürfte. Dort stellte sie Außenverteidiger Ben White vor keine größeren Probleme.
Gut zu wissen, ist auch: Madrid ist sich nicht zu schade, Bälle vermeintlich unkontrolliert nach vorne zu spielen. Mit viel Personal vorne und Spielern, die sowohl
zwischen den Ketten als auch im eins gegen eins hervorragend sind, können solche „Befreiungsschläge“ schnell brandgefährlich werden. Das beweist das 0:1 im Rückspiel in Manchester, als Jude Bellingham einen weiten Ball von Carvajal aus der Luft pflückte, noch einen Zweikampf gewann und den Ball nach außen legte ... Ergebnis: Tor durch Rodrygo.
Bayern: über die Außen und Kane
Der FC Bayern kann gegen Madrid seine Vorteile vermehrt über die Außen suchen und seine Qualität dort ausspielen. Ein Schlüssel in dieser Saison ist zudem oft Harry Kane. Er könnte sich gegen Real wieder mehr in den Halbspuren aufhalten, um sich seinen Bewachern Rüdiger und Nacho zu entziehen, und als Wandspieler agieren. Wie das funktioniert, zeigte sich bei der ersten Chance am Wochenende gegen Frankfurt. Kane legte den Ball in der Halbspur nur auf Guerreiro ab und dieser startete in Richtung Tor durch. Wie bereits angesprochen, könnte genau die Position zwischen Innenverteidiger und Außenverteidiger auch die Möglichkeit bieten, das Spiel über den Dritten aufzuziehen, wie es bereits City gegen Real vormachte.
Neben allen taktischen Aspekten ist herauszuheben, dass Real Madrid in der Champions League eine einzigartige Ausstrahlung besitzt und sich gegen viele Widrigkeiten durchsetzt. Das allerdings zeichnet auch die Münchener aus, die ebenfalls nicht als Favorit in ihre Spiele gegen Arsenal gingen und sich trotzdem durchsetzen konnten. Die Chancen auf ein Weiterkommen sind vor dem Hinspiel annähernd gleich verteilt, wenn zwei der erfahrensten Mannschaften im europäischen Fußball aufeinandertreffen.