Das Hinspiel in London war für die Bayern ein echter Mutmacher. Es zeigte auf, was mit diesem Kader möglich ist, was auch in der Bundesliga möglich gewesen wäre. Für Arsenals Coach Mikel Arteta war das 2:2 zu Hause sicherlich nicht das gewünschte Ergebnis. Dennoch ließ Arsenal erkennen, warum die Mannschaft aussichtsreich im Dreikampf um die Meisterschaft in England mitmischt. Taktisch boten die „Gunners“ im ersten Duell zwei Ansätze, jeweils einen pro Spielhälfte. Die Münchner dagegen blieben ihrem Plan 90 Minuten lang treu.
Bayern agierte gegen den Ball in einem 4-4-2, bei dem Harry Kane und Jamal Musiala die vorderste Reihe bildeten. Diese Formation hielt Bayern den größten Teil des Spiels. Kane und Musiala standen eng. So schlossen sie das Zentrum, und somit vor allem die Sechser- bzw. Achter-Positionen. Die Innenverteidiger des FC Arsenal griffen die beiden Münchner selten an. Arsenal nutzte die sich neben Kane und Musiala ergebenden Räume, um darüber den Aufbau zu starten. Das Spiel der Londoner war stark auf die eigene rechte und die vermeintlich schwächere linke Seite der Münchner fokussiert. Vor allem Martin Ödegaard war es, der den Raum rechts der beiden Münchner Spitzen nutzte, um sich seinem Bewacher Konrad Laimer etwas zu entziehen. Aus dieser Position konnte der Norweger wiederholt den Aufbau dirigieren.
Arsenal über rechts
Da die rechte Seite wie vorhergesagt die stärkere und aktivere Seite der Engländer war, sah sich Serge Gnabry sehr häufig defensiv gefordert. Oft stand der Ex-„Kanonier“ sogar auf der ungewohnten Linksverteidiger-Position, da Arsenals Rechtsverteidiger Ben White seine Rolle sehr offensiv interpretierte. So fiel auch das 1:0 für die Engländer, als Ödegaard mit einem seiner vielen Steckpässe in die Tiefe einen Angriff über rechts einleitete und die noch nicht richtig sortierten Gnabry und Alphonso Davies vor Probleme stellte. Zudem wollten die Engländer wahrscheinlich das Duell Leroy Sané gegen Jakub Kiwior auf der gegenüberliegenden Seite vermeiden. In den wenigen Duellen, zu denen es doch kam, setzte sich Sané durch und machte so auch das 1:2 möglich.
Resolute Bayern
Sehr auffällig waren vor allem in der ersten Hälfte, aber auch noch in Hälfte zwei, die Fouls im Halbfeld der Münchner. Die Bayern-Spieler gingen ein ums andere Mal resolut in die Zweikämpfe und stemmten sich so gegen die spielerische Klasse der Londoner. Ein bemerkenswerter Unterschied zu den Wochen zuvor, und ein weiteres, wichtiges Puzzleteil für die gute Performance der Münchner.
Bayern nutzt den Zwischenraum
In Ballbesitz konnte Bayern nicht immer spielerische Lösungen finden. Arsenal lenkte den Aufbau der Bayern oft auf die linke Seite mit Eric Dier und Davies, welche die Engländer als die spielerisch schwächeren Akteure ausgemacht hatten. Kai Havertz schnitt wiederholt Matthijs De Ligt ab, um Manuel Neuer den Pass auf Dier aufzuzwingen. Erhielt Dier den Ball, war es Ödegaard, der ihn ein ums andere Mal aggressiv anlief und stresste. Als Lösung wählten die Münchner oft den langen Ball in den Zwischenraum.
In diesem Raum zwischen Abwehr und Mittelfeld hielten sich oft Musiala und Kane auf, während Sané und Gnabry die Arsenal-Außenverteidiger hoch banden. Konnte sich einer der beiden Münchner außen durchsetzen, wurde es gefährlich. Auch Kane war einige Male nur mit einem Foul zu stoppen. Bedrohlich für den Gegner wurde der Torjäger aus seiner Position im Zwischenraum auch dann, wenn die Bayern höheren und sichereren Ballbesitz hatten. Die beiden Londoner Innenverteidiger rückten in diesen Fällen nicht aggressiv heraus. Deswegen konnte Kane seine Mitspieler einsetzen. Wie in der 25. Minute, als er einen gezielten Chip hinter die Kette spielte, den Musiala nur knapp verpasste.
Schnell umschalten
Die besten Möglichkeiten hatten die Bayern jedoch im offensiven Umschaltspiel. Mehrmals konnten sie ihre Schnelligkeit über die Außen nutzen und mit einem gut nachrückenden Mittelfeld zu Chancen kommen. So fiel auch das 1:1, bei dem Leon Goretzka den Raum gut erkennt und Gnabry den Weg in die Tiefe ebenfalls mustergültig durchzieht. Auch die Chance, als Sané allein auf das Londoner Tor zulief und im Strafraum gestoppt wurde, resultierte aus einer schnellen Umschaltaktion.
Arsenal flexibel
In Hälfte zwei brachte Arteta mit Oleksandr Zinchenko einen neuen Linksverteidiger und veränderte somit die komplette Statik im Spiel. Der Ukrainer, spielerisch stärker einzustufen als Kiwior, rückte im Aufbau auf die Sechser-Position und forderte viele Bälle. Folge war, dass sich sowohl der Sechser als auch die Achter von Arsenal hinter der ersten Angriffsreihe der Münchner bewegten. Das Zentrum wurde mehr überladen und durch die Positionierungen wurden auch Sané und später Kingsley Coman mehr ins Zentrum gezogen. Im Gegensatz zur ersten Hälfte spielte Arsenal nun gelegentlich auch über die eigene linke Seite und wurde dadurch flexibler und unberechenbarer im Spiel mit Ball.
Diese Änderung war auch gut in der letzten Szene des Spiels zu erkennen. Der mittlerweile eingewechselte Thomas bewegte sich hinter der Angriffsreihe der Münchner, konnte sich nach Zuspiel aufdrehen und einen Pass auf den von außen einstartenden Bukayo Saka spielen.
Das Rückspiel wird nicht leichter
Die Lehren für die Bayern aus dem Hinspiel lauten: Sie können zu Hause nur gewinnen, wenn sie mit der gleichen Intensität und Disziplin wie in London glänzen. In der Allianz Arena werden sie wohl etwas dominanter agieren, doch auch dann sollten sie weiter die Räume vor der Arsenal-Abwehrkette bespielen, in die sich Kane oder Musiala fallen lassen. Situative Umschaltaktionen hat Bayern sowieso im Repertoire, wie Thomas Müller und Joshua Kimmich in Interviews schon andeuteten. Was Bayern fehlen wird, sind die Wechseloptionen. Mit Coman und Gnabry sind zwei Flügelspieler verletzt, hinter Sané stand zuletzt ein Fragezeichen – ein großer Vorteil für Arsenal.